Krebs Neue Perspektiven durch personalisierte Medizin

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Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa eine halbe Million Menschen an Krebs. Die Therapie richtet sich bisher vor allem nach der Krebsart. Experten sind sich jedoch einig: Auch wenn Menschen an derselben Krebsart leiden, verläuft die Krankheit höchst individuell – die Patienten sprechen völlig unterschiedlich auf dieselben Medikamente an. Personalisierte Medizin ermöglicht es, die Krebszellen mit ausgefeilten Laborverfahren genauer zu bestimmen. So können Ärzte besser einschätzen, auf welche Chemotherapie der jeweilige Patient am besten anspricht.

Stand: Februar 2016

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Wie entsteht KrebsGefährliche Zellveränderungen bei Krebs

Krebs gehört zu den häufigsten Erkrankungen hierzulande. Auch die Sterblichkeit liegt hoch: Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegen bösartige Tumore an zweiter Stelle der Todesursachenstatistik. Schuld daran sind veränderte Zellen, die unkontrolliert wachsen. Der so entstehende Tumor dringt auch in andere Gewebe ein, die Krebszellen können sich im ganzen Körper ausbreiten und an anderer Stelle wuchern (Metastasen). Gesundes Gewebe wird vernichtet. Auf Dauer funktionieren lebenswichtige Organe immer weniger, bis sie ganz versagen.

Krebszellen entstehen durch genetische Schäden in ehemals gesunden Zellen. Die Zellteilung gerät außer Kontrolle. Bei jeder Zellteilung verdoppelt sich das Erbmaterial (DNA). Immer wieder treten dabei „Kopierfehler“ auf. Außerdem geben die Zellen bereits vorhandene Fehler in der DNA weiter, was weitere Mutationen auslösen kann. Mit der Zeit häufen sich in den Zellen immer mehr Mutationen an. Onkologen gehen davon aus, dass sich das Erbmaterial im Durchschnitt zehnmal verändern muss, damit aus einer gesunden Zelle eine Krebszelle wird.

Tumorstammzellen: Langfristige Gefahr durch Metastasen

Einige Zellen besitzen die Fähigkeit, sich unbegrenzt zu teilen und sich zu verschiedenen Zelltypen zu entwickeln (Differenzierung). Experten bezeichnen solche Zellen als „Stammzellen“. Forscher stellten fest, dass auch viele Tumore über Stammzellen verfügen: Sie lösen sich etwa vom Haupttumor, können unerkannt in Blut und Lymphflüssigkeit durch den Körper kreisen und sich in Form von Metastasen in anderen Gewebestrukturen einnisten. Zudem produzieren sie eine große Zahl von Nachwuchszellen mit mutierter DNA. Experten nehmen heute an, dass diese Tumorstammzellen auch bei Rückfällen von Krebspatienten eine wichtige Rolle spielen, denn sie können über lange Zeit in einer Art Schlafzustand verharren. Chemotherapie und Bestrahlung wirken jedoch vor allem auf aktive Zellen, ruhende Tumorstammzellen überstehen diese Therapien relativ unbeschadet. So können sie scheinbar erfolgreich zerstörte Tumore auch nach längerer Zeit reaktivieren.

Ständiger Zellwandel: Wieso Krebstherapie individuell sein muss

Krebszellen verändern ihr Erbmaterial im Unterschied zu gesunden Zellen in sehr kurzer Zeit. Sie passen sich ständig an neue Bedingungen an, etwa während einer Chemotherapie. Das führt dazu, dass die bösartigen Zellen sehr schnell gegen bestimmte Medikamente resistent werden und dann nicht mehr auf die Chemotherapie ansprechen. Eine weitere Besonderheit: Tumorzellen können Gene aktivieren, die für gesunde Zellen längst stillgelegt wurden. Viele nutzen zudem genetische Programme, die für fremde Organe und Gewebe typisch sind. So gelingt es den bösartigen Zellen, vom Primärtumor ausgehend Metastasen zu bilden. Dazu tarnen sie sich zum Beispiel als weiße Blutkörperchen (Lymphozyten) und dringen über die Lymphbahnen unentdeckt in andere Gewebe ein.

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Personalisierte MedizinHilfe bei den häufigsten Krebserkrankungen

Von den jährlich rund 480.000 neu an Krebs Erkrankten leidet die Hälfte an einer der vier häufigsten Krebsformen: Darmkrebs, Lungenkrebs, Brustkrebs oder Prostatakrebs. Bei diesen, aber auch bei anderen Krebsarten wie Blasen- und Hautkrebs, eröffnet die personalisierte Medizin schon heute neue Wege bei der Diagnose und für die Behandlung. So gibt es immer mehr Medikamente, die Tumoren gezielt angreifen oder ihr Wachstum hemmen können. Der Verband forschender Arzneimittelhersteller listet zurzeit 20 zugelassene Krebsmedikamente auf, die dies leisten.

Drei bis fünf Prozent aller Darmkrebsfälle in Deutschland lassen sich auf vererbte Genveränderungen zurückführen. Menschen, in deren Familien Darmkrebs gehäuft auftritt, können ihr persönliches Risiko mit einem Gentest klären lassen. Ein Biomarker zeigt, ob die Patienten generell ein höheres Risiko für Metastasenbildung tragen. Mediziner können zudem eine bestimmte Genmutation ermitteln (KRAS-Mutation). Der Test zeigt, welche Patienten erfolgreich mit Antikörpern behandelt werden können. Diese schlägt nur an, wenn das Gen in seiner ursprünglichen Form (Wildtyp) im Gewebe vorliegt. In diesen Fällen bietet die Antikörpertherapie die Chance, den Krankheitsverlauf bei fortgeschrittenem Darmkrebs mit Metastasen noch zu verlangsamen. Auch wie die Krankheit voraussichtlich verlaufen wird und ob nach einer Operation noch eine Chemotherapie sinnvoll ist, um Rückfälle zu vermeiden, zeigen bestimmte Biomarker. Krebsforscher aus den USA entdeckten jüngst ein bestimmtes Eiweiß, durch das Ärzte diese Faktoren besser einschätzen können.

Das Prostatakarzinom ist der zweithäufigste Tumor bei Männern. Etwa ein Fünftel der Betroffenen stirbt an den Folgen der Erkrankung. Im Frühstadium lassen sich etwa 90 Prozent der Tumoren jedoch heilen. Wie aggressiv die Krebszellen die Gesundheit bedrohen, zeigen bestimmte Eiweiße. Wissenschaftler stellten fest, dass das Protein BAZ2A die bösartigen Eigenschaften der Prostatakrebszellen steigert. Eine Datenbank-Analyse ergab: Je mehr BAZ2A das Gewebe enthielt, desto fortgeschrittener war der Tumor bei der Diagnose, desto häufiger hatte der Krebs bereits Metastasen gestreut und desto höher war der PSA-Wert der jeweiligen Patienten. Wenn die übrigen klinischen Werte ein mittleres Risiko für Metastasen und Rückfälle nahelegen, kann es zukünftig hilfreich sein, den BAZ2A-Wert zu testen. Er kann dann wertvolle Hinweise geben, wie wahrscheinlich der Krebs zurückkehrt und ob zusätzliche Behandlungen wie Chemotherapien für die Patienten sinnvoll sind. Klinische Studien sollen zeigen, wie der Biomarker am besten genutzt werden kann.

Brustkrebs liegt an der Spitze der Krebsstatistik für Frauen. Wie bei Darmkrebs beeinflussen die Gene das Brustkrebsrisiko. Darum empfiehlt das Deutsche Konsortium für Familiären Brust- und Eierstockkrebs einen Test auf BRCA-Genveränderungen, wenn mehrere weibliche Familienmitglieder an Brustkrebs bzw. Eierstockkrebs erkrankt sind. Bei Frauen mit Verdacht auf Brustkrebs gehört ein Test auf bestimmte Rezeptoren (HER2-Rezeptor) nach einer Biopsie inzwischen zur Routine. Zeigt die Gewebeprobe, dass der Tumor über besonders viele HER2-Rezeptoren verfügt, sprechen diese Patientinnen voraussichtlich gut auf eine Behandlung mit Antikörpern an. Patientinnen ohne diese Genveränderung brauchen in der Regel andere Medikamente.

Lungenkrebs gehört zu den Krebserkrankungen, die besonders schwer zu behandeln sind. Fünf Jahre nach der Diagnose leben nur noch 21 Prozent der weiblichen und 16 Prozent der männlichen Patienten. Meist benötigen die Erkrankten eine Strahlen- und Chemotherapie, da Operationen nicht immer möglich oder ausreichend sind. Laboruntersuchungen auf die genauen genetischen Merkmale der Krebszellen ermöglichen es, diejenigen Medikamente zu bestimmen, die die Auswirkungen bestimmter Genveränderungen auf das Tumorwachstum gezielt unterbinden. Einige gesetzliche Krankenkassen übernehmen für ihre Versicherten bereits die Kosten für solche personalisierten Behandlungsansätze.

Blasenkrebs diagnostizieren Ärzte in der Regel spät – die Krebsart verursacht lange Zeit keine typischen Symptome. Für bestimmte Risikogruppen, etwa Arbeitnehmer aus der chemischen, Gummi-, Farbstoff- und Lederindustrie sowie Tankwarte, Friseure und Fernfahrer, kann daher ein Test auf bestimmte Biomarker sinnvoll sein. Abschließende Klarheit schafft eine Blasenspiegelung. Für bereits erkrankte Patienten bietet die personalisierte Medizin die Chance, die Behandlung so gut wie möglich zu planen. Labortests zeigen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für Metastasen liegt und bei welchen Patienten eine Chemotherapie vor der Operation die Heilungschancen verbessert. So entdeckten Mediziner, dass etwa das Eiweiß PD-L1 die körpereigene Immunabwehr gegen den Tumor ausbremst. Patienten mit einem solchen PD-L1-positiven Blasentumor sprechen oft noch auf eine Antikörpertherapie an, wenn die Chemotherapie versagt und der Krebs bereits Metastasen gebildet hat.

Das maligne Melanom macht mit 75 Prozent den größten Anteil an den Hautkrebs-Todesfällen weltweit aus. Es betrifft häufig jüngere Patienten in einem Alter von unter 40 Jahren. Wenn der Hautkrebs streut, wird die Krankheit besonders gefährlich. Metastasen bilden sich oft in lebenswichtigen Organen wie Lunge, Leber und Gehirn sowie in den Knochen. Diesen Patienten hilft eine Chemotherapie oder Bestrahlung nur noch wenig. Bei 40 bis 50 Prozent aller Patienten mit Hautkrebs liegt jedoch eine bestimmte Genmutation vor (BRAF-V600-Punktmutation), die den Krebs auslöst. Diese können Ärzte gezielt mit Medikamenten behandeln, die die Aktivität des Protenins hemmen, das Tumorwachstum eindämmen oder den Tumor bzw. die Metastasen sogar schrumpfen lassen.

Personalisierten Medizin bei Krebs: Chancen

Personalisierte Medizin setzt auf Molekulardiagnostik und sucht gezielt nach bestimmten Biomarkern. Das zunehmende Wissen über die Zellveränderungen und ihre Auslöser können Mediziner inzwischen auch nutzen, um Krebserkrankungen genau zu diagnostizieren und zu behandeln. So ermöglicht personalisierte Medizin, sich für die voraussichtlich wirksamste Chemotherapie zu entscheiden, Behandlungen ohne Erfolgsaussichten zu vermeiden und die betroffenen Patienten weniger zu belasten.

Herausforderungen

Krebsmedikamente, die bestimmte krebsfördernde Moleküle blockieren, reichen aufgrund der Vielfalt der Veränderungen häufig nicht aus, um das Tumorwachstum komplett zu unterbinden. Zudem vermehren sich Tumorzellen auch über andere Wege. Diese sind Medizinern jedoch häufig noch unbekannt. Dazu kommt: Noch gibt es nur für wenige Krebsarten molekulargenetische Tests, die es erlauben, die Krebszellen genauer zu untersuchen und zu verstehen. Wer die Kosten für die Untersuchungen übernimmt, ist ebenfalls noch nicht grundsätzlich geklärt. Die Diagnosetests sind teuer, dafür können aber durch effektivere Behandlungen mit weniger Nebenwirkungen – die oft auch behandelt werden müssen – Kosten gespart werden. Bisher bieten erst einzelne Kassen ihren Versicherten molekulare Tumordiagnostik an. Diese könnte in Zukunft noch ergiebiger werden: Manche Mediziner erwarten, dass man bald kein Tumorgewebe mehr braucht, sondern die Tumor-DNA mittels Blutproben analysieren kann (liquid biopsy).

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