Allergien breiten sich aus. Fast jeder dritte Erwachsene reagiert mindestes einmal in seinem Leben allergisch – auf Gräser, Schimmel, Nahrungsmittel, Hausstaub, Medikamente, Insektenstiche oder vieles andere. Etwa 20.000 Substanzen können eine Allergie auslösen. Ebenso vielfältig und individuell äußern sich die Beschwerden. Umso wichtiger ist es, die Auslöser der Beschwerden (Allergene) genau zu bestimmen. Mit Hilfe von Labortests können Ärzte bis zu 700 verschiedene Allergieauslöser erkennen.
aktualisiert: Februar 2020
Experten bewerten Allergien inzwischen als eine der häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit. In Deutschland entwickeln bis zu 30 Millionen Menschen im Laufe ihres Lebens eine Allergie. Am häufigsten treten nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) Heuschnupfen (29,5 Prozent), Asthma bronchiale (17,2 Prozent), Kontaktekzeme (16,1 Prozent) und Neurodermitis (sieben Prozent) auf. Auch bei Kindern belegen Heuschnupfen (neun Prozent), Neurodermitis (sechs Prozent) und Asthma (vier Prozent) die ersten Plätze der Allergiestatistik. Insgesamt leiden sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen hierzulande an einer Allergie. Aber wie kommt es überhaupt dazu, dass dem Organismus eigentlich ungefährliche Stoffe plötzlich arg zu schaffen machen?
Im Laufe ihres Lebens erkranken mehr als 20 Prozent der Kinder und mehr als 30 Prozent der Erwachsenen an mindestens einer allergischen Erkrankung. Bei Kindern sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Im Erwachsenenalter kehrt sich das Verhältnis um. Dann erkranken Frauen häufiger als Männer (35 % und 24 %).
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Mediziner beschreiben Allergien als „eine spezifische Änderung der Immunitätslage im Sinne einer krank machenden Überempfindlichkeit.“ So steht es etwa im Weißbuch Allergie in Deutschland, das von Allergieexperten und medizinischen Fachgesellschaften herausgegeben wird und über die Versorgungslage von Allergiepatienten in Deutschland informiert. Allergiesymptome entstehen, weil sich das körpereigenen Immunsystems intensiv gegen eigentlich harmlose Stoffe in der Umwelt wehrt.
Grundsätzlich unterscheidet das Immunsystem körpereigene von körperfremden Stoffen und weiß diese zudem als harmlos oder gefährlich einzuordnen. Erkennt es gefährliche Fremdstoffe – etwa bei Bakterien und Viren – , produziert das Immunsystem Antikörper, um die Eindringlinge unschädlich zu machen. Dieser Prozess setzt auch bei Allergien ein, wenn ungefährliche Stoffe plötzlich als bedrohlich klassifiziert werden. Das Immunsystem bildet dann zu viele Antikörper. Dadurch setzt der Organismus große Mengen des Botenstoffs Histamin frei, das wiederum die Symptome auslöst. Schon winzige Mengen des fälschlicherweise als gefährlich eingestuften Allergens können Betroffene mit Symptomen wie Niesanfällen, Fließschnupfen, Bindehautreizung, Hautausschlägen, Übelkeit oder Durchfall quälen. Allergien können nahezu alle Organe betreffen, an Haut und Schleimhäuten treten sie jedoch gehäuft auf. Ob das körpereigene Schutzsystem sehr empfindlich auf Allergene reagiert, kann sowohl erblich bedingt sein oder durch Umwelteinflüsse und Lebensumstände ausgelöst werden.
Je nachdem, wie das Immunsystem auf Allergene reagiert, unterscheiden Fachärzte unterschiedliche Allergietypen.
Rund 90 Prozent aller Allergien zählen zum Typ I. Dazu gehören etwa Allergien gegen Pollen, Hausstaub, Nahrungsmittel, Insektengift und Tierhaare. Weil das Immunsystem bei Kontakt zu den Allergenen unmittelbar IgE-Antikörper bildet, bezeichnen Mediziner diese Allergien als auch IgE-vermittelte Allergie oder Allergie vom Soforttyp.
Zytoxisch bedeutet „giftig für Zellen“. Bei diesen Allergien bildet das Immunsystem Antikörper, die Körperzellen bekämpfen und zerstören. Dazu kann es etwa bei einer Bluttransfusion kommen. Wenn Blut einer falschen Blutgruppe übertragen wird, richtet sich das Immunsystem gegen die roten Blutzellen der unverträglichen Blutgruppe. Auch viele Medikamentenallergien gehören zum zytoxischen Allergietyp.
Bei dieser Form der Allergie bildet sich als Reaktion auf die Allergene ein Komplex aus Antikörpern und Antigenen, die sich im Gewebe von Organen oder in Blutgefäßen ablagern. Daraus kann etwa eine allergische Gefäßentzündung entstehen. Experten sprechen dann von einer Immunokomplex-Typ-Allergie.
Bei Allergien vom Typ IV können zwischen Kontakt mit dem Allergen und den ersten Reaktionen zwischen 24 und 48 Stunden vergehen. Zu diesem Allergietyp gehören etwa Kontaktekzeme, bei denen die Haut mit Rötungen oder Juckreiz auf bestimmte Stoffe reagiert. Anders als bei den anderen Allergietypen verursachen nicht IgE- oder IgG-Antikörper die allergische Reaktion, sondern die T-Helfer-Lymphozyten lösen die Beschwerden aus.
Das Immunsystem kann ein Leben lang irritiert auf Umweltreize reagieren. Allergien entstehen daher in jedem Lebensalter. Treten allergische Reaktionen erst in der dritten Lebensphase erstmalig auf, werden sie mitunter aber gar nicht als Allergie erkant. Die trockene Nasenschleimhaut, Atemnot, hartnäckige Ekzeme, Sodbrennen oder Blähungen verbuchen Betroffene und Ärzte womöglich als Alterserscheinungen. Einige Faktoren steigern das Risiko, im Alter Allergien oder Unverträglichkeiten zu entwickeln: Ältere Menschen sind häufig auf mehrere Medikamente angewiesen. Diese Multimedikation kann allergische Reaktionen auf die Wirkstoffe begünstigen. Auch bestimmte Ernährungsbestandteile verträgt der Organismus im Alter immer schlechter. Dazu gehört zum Beispiel Kuhmilch. Das für die Verdauung dieses Lebensmittels notwendige Enzym Laktase baut sich bei fast allen Mitteleuropäern im Laufe der Lebensjahre fast vollständig ab. Betroffene sollten sich nicht scheuen, ihren Arzt nach Allergien als mögliche Auslöser der Beschwerden zu fragen.
Allergie ist nicht gleich Allergie. Zudem verlaufen die Erkrankungen individuell sehr unterschiedlich. Experten beobachten zudem, dass es seit Jahren von nur saisonalen und Reizungen verstärkt zu komplexen Ausprägungen von Allergien kommt. Wenn der Organismus vielfältiger und uneindeutiger auf Allergene reagiert, steigen auch die Anforderungen an die Diagnostik. Moderne Laborverfahren helfen dabei, auch gut getarnten Allergien auf die Spur zu kommen.
Fachgesellschaften und Leitlinienautoren sind sich einig: Für die Diagnose von Allergien benötigt der Arzt unterschiedliche Informationen und muss diese wie bei einem Puzzle richtig miteinander kombinieren. Gerade bei komplexen Krankheitsbildern liefert erst die Gesamtschau diverser Testergebnisse zusammen mit einer gründlichen Anamnese die nötigen Informationen. Im ersten Schritt werden Mediziner in der Regel die Krankengeschichte der Patienten erfragen (Anamnese). Verschiedene Hauttests (Pricktest und Epikutantest) können helfen, das auslösende Allergen zu entdecken: Die Haut reagiert mit Rötungen oder Quaddeln auf diejenigen Testallergene, die vermutlich hinter der Allergie stecken. Mittels Bluttests lässt sich das Ergebnis präzisieren (siehe „Differenzialdiganose mit Labortests“). Bei sehr unklaren Testergebnissen kann ein Provokationstest dabei helfen, auslösende Allergene weiter einzugrenzen. Der Test ahmt unter medizinischer Kontrolle den Kontakt mit dem mutmaßlichen Allergie-Auslöser nach.
Zur leitliniengerechten Diagnose von Allergien gehören auch Labortests. Mit unterschiedlichen Verfahren erkennen Labormediziner, welche Allergene genau die Allergie verursachen, können Kreuzallergien feststellen und im Zweifelsfall echte Allergien von Unverträglichkeitsreaktionen unterscheiden. All diese Erkenntnisse führen nicht nur in der Diagnostik auf die richtige Spur. Sie beeinflussen auch die Auswahl der vielversprechendsten Behandlungsmethoden.
Die Autoren des Aufrufs für einen Nationalen Aktionsplan Allergie weisen darauf hin, dass nur etwa 1/20 der Allergiepatienten hierzulande eine umfassende allergologische und leitliniengerechte Diagnostik erhalten. Ihren Angaben zufolge werden in Deutschland im Durchschnitt etwa 25 Euro pro Einwohner aufgewendet. Das ist weniger als die Hälfte der allergiediagnostischen Ausgaben je Einwohner in den Niederlanden oder der Schweiz. Mehr Investitionen in Diagnose und Therapie würden sich Studien zufolge auszahlen. In Finnland, Polen, Brasilien, den USA und Australien sorgen umfassende Asthma- und Allergieprogramme etwa dafür, dass direkte (Medikamente, Behandlungen) und indirekte (z.B. Fehltage im Job) Krankheitskosten für diese Erkrankungen gesunken sind.
Um Allergene sowie die Art der Allergie im Zusammenspiel mit den weiteren Diagnosemöglichkeiten so genau wie möglich zu bestimmen, reicht in der Regel eine Blutprobe. Die Antikörper, die der Organismus bildet, um die Allergene abzuwehren, helfen im Labortest bei der Diagnose. Dazu testen Ärzte zunächst die Gesamtkonzentration der IgE-Antikörper im Blut. Erhöhte Werte sprechen für eine Allergie. Spezifische IgE-Antikörper (sIgE) helfen dabei, den auslösenden Stoff genauer zu bestimmen. Dies ist etwa wichtig, um echte Allergien von Unverträglichkeiten abzugrenzen. Zudem ermöglichen Bluttests die Allergiediagnose auch bei denjenigen Patienten, für die Hauttests nicht in Frage kommen. Dies gilt etwa, wenn sie auf Allergene besonders empfindlich reagieren oder aufgrund von Vorerkrankungen nur eingeschränkt belastbar sind.
Bei einer Lebensmittelallergie versucht das Immunsystem des Körpers bestimmte Eiweiße in der Nahrung mittels IgE-Antikörpern abzuwehren. Ein Bluttest zeigt, ob tatsächlich eine IgE-vermittelte Abwehrreaktion stattfindet. Fehlt diese, handelt es sich in der Regel um eine Lebensmittelunverträglichkeit, etwa gegen Milchzucker (Laktose) oder Fruchtzucker (Fruktose). Anders als Patienten mit einer echten Lebensmittelallergie müssen von Unverträglichkeit Betroffene keine allergischen Schockreaktionen befürchten.
Bei manchen Allergiepatienten ist es wichtig, genau zu wissen, welche Eiweiße (Proteine) die Allergiesymptome auslösen. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn andere Testergebnisse keine klare Diagnose ermöglichen oder eine allergenspezifische Immuntherapie passgenau für den Patienten ausgewählt werden muss. Mittels Molekulardiagnostik messen Labormediziner aus der Blutprobe dann einzelne Bestandteile eines Allergens und identifizieren das krankmachende Protein.
Mittels Molekulardiagnostik können Mediziner Primärsensibilisierungen von Kreuzreaktionen unterscheiden. So verträgt etwa jeder Zweite mit Birkenpollenallergie auch keine Nüsse oder Äpfel. Die Allergene ähneln sich so sehr, dass der Organismus sie nicht unterscheiden kann. Für die richtige Therapie muss der Arzt jedoch wissen, welche Allergie den Beschwerden eigentlich zugrunde liegt. Das Testergebnis zeigt in diesem Fall, dass gegen Birkenpollenallergie behandelt werden muss.
Eine besondere Form der Allergiediagnostik stellen Tests dar, die Labormediziner mit aus Blutproben gewonnen Zellen durchführen. Im Labor bringen sie verschiedene Blutzellen mit Allergenen zusammen und überprüfen, ob sich an der Zelloberfläche bestimmte Marker bilden. Damit bestimmen sie die Menge an spezifischen IgE, die in den Zellen gebunden auftritt. Zelltests eignen sich an Angaben von Fachgesellschaften vor allem dann, wenn zwar der Verdacht einer Typ 1-Allergie vorliegt, die Ergebnisse anderer Tests aber unklar bleiben. Auch wenn die Möglichkeit entfällt, spezifische IgE zu bestimmen oder kein Hauttest möglich ist, können Zelltests die Allergiediagnose erleichtern.