Liquid Profiling – neue Ansätze der Blutdiagnostik

Moderne Laboranalysen ermöglichen Forschern und Medizinern heute immer tiefere Einblicke in die Zusammenhänge von Krankheitsbildern. Für das DIG erläutert Prof. Berend Isermann, Präsident der Deutschen Vereinten Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL) und Leiter des Instituts für Klinische Chemie und Pathobiochemie am Universitätsklinikum Magdeburg, neue Methoden.

Die Untersuchung des Blutes ist unerlässlich für Prävention, Diagnostik und Nachsorge. Bis zu 70 Prozent der klinischen Entscheidungen basieren auf Laborbefunden. Die Entwicklung neuer Verfahren ermöglicht es, immer genauere und zuverlässigere Aussagen anhand einer Blutanalyse zu treffen. Die Untersuchung von Blut im Labor mit Hilfe von hochkomplexen Analysemethoden kann im weiteren Sinne unter den Begriff „liquid profiling“ subsumiert werden. Im engeren Sinne fällt darunter neuerdings jedoch die Untersuchung von zellfreier DNA und RNA im peripheren Blut oder anderen Körperflüssigkeiten – im Kontext onkologischer Erkrankungen wird dieser Ansatz auch gerne als „liquid biopsy“ bezeichnet.

Neue Methode im Fokus

Bisher stand die Untersuchung im Blut frei zirkulierender DNA oder RNA (zellfreier Nukleinsäuren) nicht im Fokus der Blutanalytik. Mit der Entwicklung neuer hochsensitiver Untersuchungsmethoden (z. B. droplet oder digitale PCR) zeigen sich hier jedoch neue diagnostische Möglichkeiten auf, die weit über die Sensitivität bisheriger quantitativer PCRs hinausgehen. Mit ihrer hohen Sensitivität können geringste Mengen an veränderter Tumor-DNA vor dem Hintergrund der vielfach vorhandenen unveränderten (Wildtyp) DNA, wie sie im Blut vorkommt, erkannt und gemessen werden.

 

Besonders leicht erfassbar sind DNA-Veränderungen in Tumoren. Der Vorteil der Untersuchung der zellfreien Nukleinsäure besteht darin, dass – unabhängig von der Lokalisation des Tumors oder seiner Metastasen – die tumorassoziierten DNA-Veränderungen im Blut zu jedem x-beliebigen Zeitpunkt der Erkrankung nachgewiesen werden können. Anders als die Biopsie, die nur begrenzt Material und damit begrenzt Informationen zu Verfügung stellt, gibt die Untersuchung der zellfreien Nukleinsäure im Blut Auskunft über mögliche Mutationen des Tumors in seiner Gesamtheit. Dies ist z. B. wichtig, wenn zielgerichtete Therapien zum Einsatz kommen sollen (Companion-Diagnostik) oder wenn unter Therapie neue Mutationen entstehen, die zu einer Resistenz gegenüber der laufenden Behandlung führen.

Vielfältige Prävention

Aber nicht nur bei Tumorerkrankungen eröffnet das moderne „liquid profiling“ neue Optionen. Bereits etabliert ist der Nachweis von fetaler zellfreier Nukleinsäure zur Erkennung und Vermeidung von fetalen Fehlbildungen oder Schwangerschaftskomplikationen. Auch in der Transplantationsmedizin könnte der Nachweis zellfreier DNA Bedeutung erlangen. Durch den Nachweis epigenetischer Modifikationen, wie der DNA-Methylierung, kann eine Organzuordnung der zellfreien DNA erfolgen. So lässt sich auch bei verschiedenen Erkrankungen, z.B. beim Typ-1-Diabetes oder degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, frühzeitig eine Gewebsschädigung nachweisen.

 

Perspektivisch ergeben sich neue Möglichkeiten auch durch den Nachweis epigenetischer Veränderungen, die krankheitsassoziiert oder vielleicht auch krankheitsrelevant sind. Dies kann in der Onkologie bedeutend sein, aber auch bei nicht onkologischen Erkrankungen. Die Chronifizierung von Erkrankungen geht häufig mit epigenetischen Veränderungen einher. Der Nachweis dieser Veränderungen könnte eine korrekte und dem Stadium der Erkrankung entsprechende individualisierte Therapie ermöglichen.

 

Wie bei allen anderen blutbasierten Tests sind die Präanalytik und die Qualitätssicherung von übergeordneter Relevanz. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen werden aktuell geschaffen. Das Referenzinstitut für Bioanalytik (RfB) hat erste Ringversuche etabliert, die eine Qualitätssicherung nach geltenden Kriterien ermöglichen werden. Zudem werden Studien zur Präanalytik durchgeführt. Hier können die Institute auf die langjährige Erfahrung im Bereich der Qualitätssicherung innerhalb der Labormedizin zurückgreifen. Das gilt sowohl für die Untersuchung von Blutproben und die Beachtung der Präanalytik als auch für das Know-how molekularbiologischer Techniken. Damit wird es gelingen, diese neue Technologie flächendeckend und im Sinne einer sicheren und qualitativ hochwertigen Patientenversorgung einzuführen.

 

VDGH Diagnostik im Gespräch 2/2016