Wie wird ein Labortest GKV-Leistung? Interview mit Matthias Borst (VDGH)

Matthias Borst, Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Diagnostica-Industrie (VDGH) beantwortet in einem Interview mit der Stiftung LebensBlicke Fragen zur Einführung von Labortests in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und zu Möglichkeiten der Krebsfrüherkennung. Die Fragen stellte Dr. Gerhard Brenner (GB), stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Stiftung LebensBlicke.

GB: Verbände vertreten Interessen. Welche Interessen vertritt der Verband der Diagnostica-Industrie und wie viele Mitglieder hat der Verband?

 

VDGH: Der VDGH ist der Wirtschaftsverband der in Deutschland tätigen Hersteller von In-vitro-Diagnostika sowie der Life Science Research-Unternehmen. In-vitro-Diagnostika sind Reagenzien, Testkits, Instrumente und Geräte zur Untersuchung von Proben aus dem menschlichen Körper, die im ärztlichen Labor eingesetzt werden oder in bestimmten Fällen auch durch Eigenanwendung des Patienten. Auch die Life Science Research-Industrie befasst sich mit Labor und Analytik, geht aber weit über den medizinischen Bereich hinaus. Sie entwickelt maßgeschneiderte Systeme und Materialien für die Forschung, z. B. in der Biotechnologie, Arzneimittelentwicklung, Lebensmittelanalytik und Forensik. Gestartet ist der VDGH mit 13 Mitgliedern, heute vertritt der Verband die gemeinsamen Interessen von 98 Unternehmen.

 

GB: Diagnostika spielen eine wesentliche Rolle bei der medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Diagnostikfirmen gehören zu den Unternehmen, die häufig neue innovative Produkte auf den Markt bringen. Welche Möglichkeiten hat der Verband bei den Entscheidungsträgern unseres gesetzlichen Gesundheitssystems für die Integration neuer Produkte und deren Aufnahme in den Leistungskatalog zu sorgen?

 

VDGH: Die Bandbreite der In-vitro-Diagnostik ist sehr groß und umfasst nicht nur die Diagnose im akuten Krankheitsfall. Bei der Früherkennung von Krankheiten, bei der Prognose des zu erwartenden Krankheitsverlaufs, bei der Therapieüberwachung und Nachsorge spielen Diagnostika eine wichtige Rolle. Ohne Labordiagnostik ist Infektionsschutz im Krankenhaus nicht denkbar. Diabetiker können durch die Blutzuckerselbstmessung informiert und verantwortungsbewusst mit ihrer Krankheit umgehen und ihre Lebensqualität verbessern. Der Einsatz gendiagnostischer Verfahren ermöglicht immer passgenauere Therapieoptionen für Krebskranke und verhindert Fehlmedikationen. Bei aller Bedeutung gilt zugleich: Der Anteil der Laborausgaben in der GKV liegt bei knapp drei Prozent. Laborausgaben sind kein relevanter Kostenfaktor im Gesundheitswesen. 
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist die maßgebliche Institution, die über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der GKV entscheidet. Der VDGH ist beim G-BA als „stellungnahmeberechtigte maßgebliche Spitzenorganisation der Medizinproduktehersteller nach § 92 Abs. 7d SGB V“ anerkannt. Der Verband kann sich damit in laufende Bewertungsverfahren des G-BA einbringen. Daneben gibt es ein weiteres Gremium, welches über die Aufnahme von Innovationen in die Regelversorgung entscheidet, und zwar die AG Labor des Bewertungsausschusses von KBV und GKV-Spitzenverband. Sie ist selbst Kennern des Gesundheitssystems nicht immer bekannt, aber für die Labordiagnostik im vertragsärztlichen Bereich mit zentralen Kompetenzen ausgestattet. Dort werden innovative Laborleistungen im Hinblick auf Anpassungen des Laborkapitels im EBM beurteilt. Der VDGH ist gegenüber dieser Institution vorschlagsberechtigt. D.h. wir können neue Labortests einreichen, es besteht damit aber kein Anspruch auf Beratung. Antragsberechtigt sind nur die KBV und der GKV-Spitzenverband.

 

GB: Können Sie ein Beispiel nennen, wo es dem Verband gelungen ist, schnell eine Anerkennung für ein neues Diagnostikprodukt in der GKV zu erreichen und benennen Sie auch ein Beispiel wo es bei der Einführung hakt?

 

VDGH: Die Bilanz ist mehr als enttäuschend. Seit der Vereinbarung des Prüfverfahrens für die AG Labor im Jahr 2009 wurde keiner der VDGH-Vorschläge aufgenommen; z.T. ist nicht einmal die Erstberatung durchgeführt. Selbst von Vertretern des GKV-Spitzenverbandes ist zu hören, diese Situation sei unbefriedigend. Passieren tut freilich nichts. Im Gemeinsamen Bundesauschuss wurde im Jahr 2003 vom damaligen Bundesverband der Innungskrankenkassen der Antrag gestellt, den molekularen HPV-Test zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs zu beraten. Heute, elf Jahre später, wurde Harald zur Hausen für seine Entdeckung längst mit dem Nobel-Preis geehrt. Es liegt eine positive Nutzenbewertung des IQWiG vor, aber weiterhin keine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Das empfinden wir als ein Aussitzen. Positive Beispiele zu finden, fällt da schwerer. Im Sommer 2011 wurde nach einer Reihe von Todesfällen in Neonatologie-Abteilungen deutscher Krankenhäuser das Infektionsschutzgesetz novelliert. Der Gesetzgeber verpflichtete darin die KBV und den GKV-Spitzenverband, binnen weniger Monate Vergütungsregelungen zur Diagnostik von Trägern mit MRSA im ambulanten Sektor zu schaffen. Die Erweiterung des EBM wurde dann fristgerecht auch realisiert. Dieses Beispiel zeigt: Fristsetzungen können sehr effektiv sein. Aber sie kommen häufig erst dann, wenn etwas passiert ist.

 

GB: Die Stiftung LebensBlicke, Früherkennung Darmkrebs, sieht es mit Sorge, dass die neueren Stuhl- und Bluttests zur Darmkrebsfrüherkennung, obwohl seit Jahren auf dem Markt - allerdings nur für Selbstzahler - bisher keinen Eingang in die GKV gefunden haben. Welche Unterstützung kann man durch den VDGH erwarten und wie aussichtsreich ist eine

solche Initiative?

 

VDGH: Der VDGH thematisiert diesen Umstand seit Jahren und hat zuletzt im Sommer 2012 mit einer gesundheitspolitischen Kampagne dafür geworben, Methodenvielfalt bei der Früherkennung von Darmkrebs zuzulassen. Eine weitere Forderung des VDGH ging dahin,

die Früherkennung von Darmkrebs auf ein organisiertes Einladungsverfahren umzustellen und damit die Inanspruchnahme zu steigern. In beiden Punkten ziehen wir mit der Stiftung LebensBlicke an einem Strang. Der Gesetzgeber hat das geregelte Einladungsverfahren mit dem Krebsfrüherkennungs- und Registergesetz inzwischen initiiert. Das freut uns und ist ein großer Erfolg all derer, die sich für eine verbesserte Krebsvorsorge stark machen. Der G-BA ist damit aufgefordert, innerhalb von drei Jahren für die entsprechende Umsetzung in Richtlinien zu sorgen. Als VDGH treten wir dafür ein, dass es bei drei Jahren Umsetzungsfrist bleibt und daraus nicht acht Jahre werden, wie es mit Blick auf die Erprobungsregel des G-BA auch vorstellbar ist. Hier sehen wir das Bundesgesundheits-ministerium an unserer Seite. Wir gehen davon aus, dass in diesen drei Jahren auch eine Überprüfung der für die Darmkrebsfrüherkennung geeigneten labordiagnostischen Methoden erfolgt. An aktuellen wissenschaftlichen Leitlinien auf nationaler und europäischer Ebene mit klaren Aussagen herrscht ja kein Mangel.

 

GB: Ist die neue Erprobungsregelung nach dem Sozialgesetzbuch V §137e ein Verfahren, das eine Einführung neuer Produkte beschleunigen könnte oder ist das eine Maßnahme, um notwendige zeitnahe Entscheidungen zunächst durch ein Verfahren von Anmeldung,

Erprobung, Evaluation aufzuschieben?

 

VDGH: Die Grundidee ist überzeugend. Die Evaluation einer Untersuchungs- und

Behandlungsmethode erfolgt zeitgleich mit ihrer zeitlich befristeten und auf bestimmte

Leistungserbringer fokussierten Einführung; die Leistungen werden unmittelbar von den Krankenkassen vergütet. Voraussetzung ist, dass die Methode das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative hat, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist. Fast zwei Jahre nach Inkrafttreten der Regelung sieht der VDGH noch nicht, dass mit diesem Instrument die Einführung neuer Verfahren beschleunigt wird. Der G-BA geht im Schnitt von 2,5 Jahren reiner Verfahrensprozedur zusätzlich zu der eigentlichen Erprobungsphase aus. Aller Erfahrung nach dürften damit 5 bis 8 Jahre bis zur abschließenden Entscheidung über eine Leistung ins Land gehen.

 

GB: Wie sehen Ihre Mitgliedsfirmen diese Erprobungsregelung. Gibt es bereits Firmen, die einen Antrag auf Erprobung eingereicht haben oder planen dies in Kürze zu tun?

 

VDGH: Es überwiegt Zurückhaltung. Der VDGH und die weiteren Medizinprodukteverbände haben intensive Diskussionen mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss geführt, wie die Erprobungsregel rechtssicher und praktikabel ausgestaltet werden kann. Letztlich bleiben aber die unbestimmte Dauer der Erprobung, die Höhe der vom Hersteller zu übernehmenden Evaluationskosten und der Schutz vor Konkurrenten, die sich an der Erprobung finanziell nicht beteiligen, die Knackpunkte, bei denen wir für andere Detailregelungen plädiert haben. Diagnostika-Hersteller agieren in Deutschland in hochkompetitiven und stark segmentierten Märkten mit vergleichsweise bescheidenen Umsatzmöglichkeiten. Insofern bleibt abzuwarten, ob die Umsetzung der Erprobungsregelung für unsere Industrie möglicherweise sogar prohibitiv wirkt.

 

GB: Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

 

Stand: Oktober 2013