Liquid Biopsy im Lungenkrebs

Für viele Lungenkrebspatienten ist Liquid Biopsy oft die einzige Chance, eine Tumordiagnostik durchführen zu lassen, um weitere Therapieansätze zu erhalten, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen. DiG sprach mit PD Dr. Lukas Heukamp, Sprecher Diagnostik des Lungennetzwerks NOWEL und Medizinischer Direktor der NEO New Oncology Köln, über die Notwendigkeit der molekularen Diagnostik beim Bronchialkarzinom.

 Das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom (NSCLC) ist das Paradebeispiel für eine molekular definierte Tumorentität: Für etwa 25 % aller Patienten mit inoperabler Erkrankung kommt eine zielgerichtete Therapie in Frage, die der Standardtherapie in puncto Überleben und Verträglichkeit signifikant überlegen ist. Vor der Systemtherapie steht daher eine umfassende molekulare Tumoranalyse, die therapeutisch adressierbare Genveränderungen wie Punktmutationen (z. B. EGFR, BRAF) oder Genfusionen (z. B. ALK, ROS, RET) identifiziert.

 

Gerade beim Lungenkarzinom stößt die Diagnostik jedoch an ihre Grenzen: Aufgrund des limitierten Gewebes kann in etwa 30 % der Fälle die molekulare Erstdiagnostik nicht abgeschlossen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass unter zielgerichteter Therapie oft molekulare Resistenzmechanismen entstehen. Am häufigsten ist dies bei EGFR-mutierten Patienten zu beobachten: In mehr als der Hälfte aller Fälle entwickeln sie unter Therapie eine EGFR T790M-Mutation, die seit Anfang 2016 mit Osimertinib behandelt werden kann. Gegen weitere Resistenzmechanismen wie Amplifikationen in c-MET oder ERBB2 stehen ebenfalls entsprechende zielgerichtete Substanzen zur Verfügung. Patienten können zudem in unterschiedlichen Tumormanifestationen verschiedene Resistenzmechanismen aufweisen, eine Resistenz-Heterogenität, die bis zu 50 % aller Patienten betreffen kann.

 

Zur Therapieanpassung sollte darum auch in Resistenzsituation eine molekulare Analytik durchgeführt werden. Bislang musste hierzu jedoch immer eine Rebiopsie oder Bronchoskopie zur erneuten Gewebeentnahme durchgeführt werden, ein invasiver Eingriff mit erheblichen Risiken von Tumorzellverschleppung und Pneumothorax bis hin zur intensivmedizinischen Intervention. Mit der Liquid Biopsy steht nun erstmals eine schonende, risikoarme Analysemethode zur Verfügung, die es ermöglicht, auch ohne erneute Biopsierung eine umfassende molekulare Analyse durchzuführen.   

Erfassung des Tumorprofils

Die Liquid Biopsy basiert darauf, dass Tumoren von Lungenkrebspatienten vor allem bei metastasierter und fortschreitender Erkrankung DNA in den Blutkreislauf abgeben. Diese „zirkulierende Tumor-DNA“ (ctDNA) kann im Rahmen einer Blutprobe gewonnen werden, ihre Analyse ermöglicht eine komplette genetische Tumordiagnostik. Das wichtigste Einsatzgebiet der Liquid Biopsy ist derzeit die Erfassung von Resistenzmutationen im Rahmen einer Therapieanpassung.Zukünftig könnte die Liquid Biopsy jedoch auch das therapeutische Monitoring vereinfachen, um z. B.  eine Resistenzentwicklung frühzeitig zu erkennen. Mit Hilfe von hybrid- capture-basierten Methoden können nicht nur Punktmutationen, sondern auch Kopienzahlveränderungen ( c-MET und c-ERBB2-Amplifikationen sowie Fusionen z. B. in ALK, ROS und RET) in hoher Sensitivität an einer Blutprobe nachgewiesen werden. Der Test ist somit sowohl zur umfassenden Testung in Resistenzsituation als auch für die Primärdiagnostik geeignet, sollte hier nicht genügend Tumormaterial für die komplette Analytik gewonnen werden können.

Erstattung

Zwar gibt es seit dem 1. Juli 2016 erstmals eine eigene Erstattungsziffer für molekulare Diagnostik zum Nachweis tumorgenetischer Veränderungen als Grundlage für den Einsatz zielgerichteter Therapien, die auch Analysen mittels Hybrid-Capture-NGS abdeckt. Die Liquid Biopsy ist von dieser Ziffer allerdings explizit ausgeschlossen. Die Erstattung der Blutanalytik ist daher derzeit nur im Rahmen von Selektivverträgen möglich, wie ihn die Barmer GEK mit dem abgeschlossen hat.

 

Das Lungennetzwerk NOWEL ist ein Zusammenschluss führender Lungenkrebsexperten und ist deutschlandweit für Zentren (Kliniken und niedergelassene Praxen) der relevanten Fachrichtungen (Onkologie, Pneumologie, Pathologie) offen. Die Barmer GEK / Deutsche BKK übernimmt in allen NOWEL-Zentren die Kosten für die Liquid Biopsy für alle Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom, die eine molekulare Diagnostik benötigen, bei denen eine Indikation für eine Rebiopsie besteht. Auch die Audi BKK ist mittlerweile dem Selektivvertrag beigetreten, wodurch NOWEL seinem Ziel, die Versorgung der Lungenkrebspatienten deutschlandweit zu verbessern, wieder einen Schritt nähergekommen ist.